Dieser Sommer stellt Berlin, bedingt durch die Verordnungen gegen die Verbreitung des Corona-Virus, vor besonders ernst zu nehmende Herausforderungen. Bis vor Kurzem war nicht vorherzusehen, ob Clubs und andere Veranstalter Außenflächen für den Publikumsverkehr überhaupt öffnen können. Seit Kurzem darf nach den Corona-Schutzbestimmungen ein geregelter Betrieb auf Außenflächen und auch Indoor in entsprechend großen Räumen mit einer begrenzten Personenanzahl bei ausreichender Belüftung stattfinden, Kunst und Musik können im gastronomischen Rahmen wieder konsumiert und zelebriert werden. Leider sind Tanzveranstaltungen in geschlossenen Räumen weiterhin verboten.
Zahlreiche Veranstalter und Club-Locations haben ihre Außenflächen zur Bewirtschaftung aufgerüstet, um für ein abgezähltes Publikum – es gelten die bekannten Abstands- und Hygieneregeln – kleine Open-Air-Gigs bei chilliger Gartenatmosphäre zu bieten. Nach der zwangsverordneten Pause kommt der Clubbetrieb auf diese Weise wieder etwas zum Laufen, Mitarbeiter dürfen wieder an ihre Arbeitsplätze, und DJs können wieder von Angesicht zu Angesicht für und vor Live-Publikum spielen.
Hier bietet sich auch ein Besuch im Rüdersdorfer Biergarten des Berghain an. Freitags und Samstags spielen im Hintergrund Resident-DJs kleine feine Sets im Bierhof. Ab dem 1. August ist auch der Techno-Garten des Berghain Samstag und Sonntag geöffnet.
Auf der Strecke bleiben unter anderem Betreiber, die über keine Außenfläche verfügen. Der Ticketverkauf für Veranstaltungen erfolgt überwiegend Online, da somit der Einlass einer begrenzten Besucheranzahl bereits im Vorfeld geregelt ist. Und nicht zu vergessen, die notwendigen persönlichen Daten werden bei dieser Gelegenheit mit erfasst zwecks Kontaktmöglichkeit im Falle einer möglichen Ansteckung. Hier eine kleine Auswahl derzeitiger Open-Air-Locations mit Bewirtschaftung und Live-DJ-Musik:
Rummelsburg-Berlin, Rummelsburger Landstraße 2-12, 12459 Berlin
Klunkerkranich, Karl-Marx-Straße 66, 12053 Berlin – Neukölln
Bierhof Rüdersdorf (am Berghain), Rüdersdorfer Straße 70, 10243 Berlin
About Blank, Markgrafendamm 24c, Berlin 10245
Wilde Renate Biergarten, Alt-Stralau 70, 10245 Berlin
Sisyphos, Hauptstraße 15, 10317 Berlin
Mörchenpark E.V. , Holzmarktstraße 25, 10243 Berlin
Den gesamten August über veranstaltet Vattenfall in den Außenbereichen des Kraftwerk Berlin in der Köpenicker Straße, wo auch der Techno-Club Tresor beheimatet ist, ein Open-Air-Programm für die gesamte Familie. Das Kultur-Kraftwerk bietet in diesem Sommer Künstlerinnen und Künstlern, die durch die Corona-Krise besonders hart getroffen wurden, eine Bühne – Berlinerinnen und Berliner sind eingeladen, Open-Air und in entspannter Atmosphäre zu genießen oder selbst aktiv zu werden. Das Ganze ist kostenlos und CO2-frei. Anmeldung online vorab notwendig, da auch hier nur eine begrenzte Personenanzahl möglich ist.
Ein weiteres Highlight: Das About Blank bietet Gastro und DJ-Performance im üppig begrünten Garten an. Ab August findet hier die Veranstaltung Pornceptual & Buttons x ://About Blank Garden: Moving Forward statt:
„Nach vier Monaten der Anpassung an unsere neue Realität erforschen Pornceptual & Buttons gemeinsam das Unbekannte und gehen neue Wege. Trotz der Angst und der Herausforderungen der Zeit, in der wir leben, freuen wir uns darauf, uns wieder im Garten von: // about blank für ein Wochenende voller Zusammengehörigkeit, Gemeinschaft und Kunst zu versammeln. Wie lange wird das noch dauern? Wie erfinden wir uns als Partykollektive neu? Wie weit können wir unsere Künstler unterstützen? Nach den Regeln der sozialen Distanzierung könntIhr mehrere Stationen im gesamten Garten besuchen, die von verschiedenen queeren Darstellern, Installationskünstlern, Musikern und Filmemachern erstellt wurden. Eine multisensorielle Tour, die euch zurück zu dem führt, was wir alle vermisst haben: zusammen in einem Raum zu sein. In dieser Zeit der Krise und Isolation spielt die Rolle der Kunst eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben: „Moving Forward“ untersucht die verschiedenen Herausforderungen, denen sich die queere Gemeinschaft während der Pandemie gegenübersieht. Wir wurden nach innen bewegt, in den weiten Innenraum unserer Gedanken und unserer Vorstellungskraft, einen Ort, den wir vielleicht vernachlässigt haben. Darüber hinaus taucht diese Erfahrung in die Idee ein, dass das Umarmen der Einheit der einzig richtige Weg in die Zukunft ist. Macht mit und lasst euch von der Kunst befreien.“
Quelle: https://www.facebook.com/events/281271293155549/?active_tab=about
Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht längst eine Szene gäbe, die im Untergrund ihre verborgenen Happenings feiert. Der illegale Outdoor-Rave hatte bereits seine große Blüte in England Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre – zum Second Summer of Love, der Hochphase von Acid House und dem Beginn von Techno. Der Rave auf Wiesen, in stillgelegten Industriegebieten oder Warehouses wurde von der englischen Regierung via Gesetz verboten, Veranstalter wurden zu drastischen Strafen verurteilt.
Im Berlin des Jahres 2020 spielt nun dem elektronischen Musikuntergrund das Schließen von Indoor-Veranstaltungen durch die Corona-Krise Energie zu. Von den Wiesen der Neuköllner Hasenheide zu den verborgenen Kellern der Torstraße, von Raves am Rande der Stadt bis zu den vielen Partys in Privatwohnungen – nach einigen Monaten des Abwartens wird nun wieder gefeiert. Informationen hierzu werden geheimnisvoll getauscht wie zu den Anfangszeiten der Berliner Techno-Kultur der 90er Jahre.
So groß sich jedoch auch die Sehnsucht in Vielen von uns nach dem geliebten Miteinander auf dem Dancefloor regt, so groß ist leider auch das Risiko, welches von diesen … nennen wir sie „unkontrollierten“ Partys ausgeht, dass eine Ansteckungswelle losgetreten wird, der man ohne Impfstoff nichts entgegensetzen kann. Hinzu kommt der lang ersehnte freie Reiseverkehr und der damit einhergehende Tourismus, der nicht nur die Stadt, sondern wohl auch Covid-19 wieder belebt. Dies hinterlässt ein bleiernes Gefühl und sorgt auch bei der Politik und bei Anwohnern zu Verdruss.
Epochen mit Verboten bzw. Einschränkungen für die Musik- und Partykultur sind Nährboden für neue Ideen, und Berlin mit seinen multikulturellen Lebensadern brodelt im Untergrund. Hoffentlich schaffen aus der aktuellen Ausnahmesituation heraus spannende Partykonzepte den Sprung in die Legalität. Es wird sich einiges ändern, wir werden manches vermissen, aber eventuell bewirkt es auch, dass ein Teil der beliebigen, rein kommerziellen Clubbetriebe die Stadt in Zukunft mit anspruchsvolleren Clubabenden bereichern wird. Eine Rückbesinnung auf die Strukturen in der Stadt – um quasi auch die Szene der lokalen Musiker, DJs und Künstler wieder zu stärken – hat durchaus ihre Reize.
Geht aus – geht geschützt!
Kay-Uwe Lenk * DASFAX | TECHNO BERLIN