Techno und die Freiheit – Partylabels und Sexpositivity in Berlin

Freiheit auf der Techno Party

Wir lieben die Berliner Clubkultur, damals wie heute. Doch wie werden die Community und die Individualisten in der Zukunft zusammen feiern? Wie ist die derzeitige Stimmung in den Technoclubs. Im Speziellen Veranstaltungen, die durch 6+Party-Labels in den stadtbekannten Clubs ausgetragen werden. Halten die Ankündigungen der Flyers das, was man vor Ort erlebt? 

Das Clubleben Berlins ist in seiner Einzigartigkeit seit den 90er Jahren legendär. Der kollektive Exzess, die individuelle Entgrenzung, die technoide Musik der aufstrebenden Zeit, gipfelte in nicht bekannte Sphären. Vor allem die Zusammenschlüsse von Freunden, Mode- oder Record-Labels setzten neuartige Maßstäbe beim Feiern und stärkten den Mythos von grenzenlosen Freiheit im Berliner Nachtleben. Es war auch eine Zeit, in der sich die Sexpositiv-Welle in der LGBTQ+ und Technopartieszene etablierte, der einen schrillen, martialischen Fetisch-Look salonfähig machte.

supportet by KADIB https://www.kadib.com/ Musik: DASFAX EP_ FIA

Damals. Heute trägt man statt schrill lieber stoisch schwarz und übt sich in der Kunst des Weglassens – sei es bei Textil oder der Persönlichkeit. So erhofft man sich den Einlass zu eine der angesagteren Veranstaltungen mit Sexpositiv-Charakter. Und es funktioniert. Leider. Dabei galten diese Nächte doch immer als Begegnungsmöglichkeit für „Come as you are“. Wenn nicht hier, wo dann? 

Dabei galten diese Nächte doch immer als Begegnungsmöglichkeit für „Come as you are“. Wenn nicht hier, wo dann? 

DASFAX

Ganz allgemein gesehen ist ein Club ein Schmelztiegel an diversen Communities, übernimmt somit die wichtige Aufgabe eines Schutzraums für jeden Einzelnen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich ein gewisser Spirit entfaltet. Seit einigen Jahren gibt es sogar eine Awarness-Akademie, die sich mit Entwicklungen und Herausforderungen dieser besonderen Funktion eines Clubs oder Veranstalters auseinandersetzt. Motto „Free Spaces = Safe Spaces“. 

So offen auch mit der besagten Freiheit umgegangen wird ist zu erkennen, dass trotzallem der Vergnügungsfaktor leidet. Denn leider kann einem die Freude auf den Abend gleich an der Clubtür vergehen. Beispielhaft wie bei einem freizügig beworbenen Event eines Party- und Fetischfashion-Label, als die Erwartungen der Gäste bereits durch einen unhöflichen Empfang an der Tür gedämmt wurden. Neben einer generellen Kompetenz des Türstehers, wie Menschenkenntnis und Autorität, geht man bei einer 6+Party von einer darüber hinaus vorhandenen Sensibilität gegenüber der Partycrowd aus.  Und was war passiert? Ein Gast wurde aufgrund einer bunten Applikation an der Jacke vom Türsteher angeschissen, dennoch rein gelassen. Hätte er sich auch sparen können, denn von einem positiven sexuell erhabenen Flow der Party war nur zu träumen, es lag etwas Gekünsteltes in der Luft. Extra für die Veranstaltung reisten sogar Leute aus dem Ausland an, in Erwartung des ultimativen diversen Berlinvibes. Doch stattdessen gab es die uniformierte Angepasstheit und die angezogene Handbremse.  

Veranstalter mit Webshop für Fetisch Accessoires und Kunstplattform: https://pornceptual.com/

Clubkultur und Mode sind seit eh und je eng miteinander verbunden. Schaut man sich hier und da das Publikum an, muss man sich manchmal fragen, ob ein einfach nur fantasielos Schwarz und komplett nackt echt die Technoparty der Zukunft sein soll? Ich hoffe nicht, ich hoffe viel mehr dass wir uns durch zu starre Dresscodes nicht die Lust am Experimentieren nehmen lassen. Denn das höchste Gut der Individualität, das wir hier eigentlich ausleben könnten, sollte gefördert werden und bunt bleiben.

Queer Techno Party mit Recordlabel https://gegenberlin.com/

Die DNA der Partylabels präsentiert sich überwiegend in den oberflächlichen Merkmalen freizügiger Bekleidung wie Dark-Fetisch-Dresscodes oder auch völlig unbekleidet. Nicht ungewöhnlich, dass der Community gleich vor Ort im hauseigenen Shop das passende Outfit für den nächtlichen Technoporn angeboten wird. Solche wirtschaftliche Aspekte sind nach den langen Lockdowns  für die Betreiber eine weitere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und sichern somit auch die Umsetzung und Entwicklung von neuen Trends. Herrensauna erhalten zusätzlich zum Beispiel Sponsoring von „Carhardt“ auf ihrer Website. Pornzeptual betreibt einen eigenen Online Shop.

Streetwear und Technoparty – Veranstaltung Herrensauna und Fashionlabel Carhartt, https://www.herrensauna.net/

Ein Gespräch mit Bekannten, welche Zutaten eine gelungene 6+Party ausmacht, erinnerte mich an zahlreiche unvergessliche Erlebnisse der letzten dreißig Jahre im Berliner Techno-Clubleben. Die große Bemühung sollte darin liegen, eine ästhetische Aura zu schaffen, in der sich jeder Einzelne wohlfühlt. Der Stil der Dekoration und der entsprechende Clubraum können zwar in seiner Vielseitigkeit grenzenlos sein, jedoch wirkt eine Form von Gemütlichkeit einladender, als zu viel kalter Beton ohne irgendeine Sitz oder Liege- gelegenheit. Auch die Raumgröße spielt keine unwichtige Rolle, denn es gibt sicher nichts lähmenderes, als ein überdimensionierter Club mit nur einer handvoll Publikum.

Plattencover des Berliner Labels K7 – The Kings Of House, The Kings Of Funk

Und auch wenn bei einer extravaganten Technoparty der Fokus nicht auf dem Catering liegt, so kann bei einer 6+Party eine Ecke im Raum mit Obst, Snacks, Joghurt oder Honig bei den Gästen nicht nur für Begegnungsmöglichkeiten und Energie sorgen, sondern auch die genussvolle Fantasie anregen. Und bestenfalls sollten die DJs der Nacht ein Verständnis dafür haben, dass auch harter, schneller Techno über eine Seele verfügt. 

Club RSO (Revier Südost) – beliebt bei Technoparty Veranstaltern https://rso.berlin/archive

So ist ein Erfolgsgeheimnis des KitKat-Clubs sicherlich, dass er über seine Dekorationen, Malereien und Kontaktbereiche die Neugierde und Spielfreude seiner Gäste fördert. Auch im Club RSO, der im Obergeschoss noch sehr roh und eckig anmutet, lässt im Keller die Freuden der Annäherung rasseln.

Die Prägung, die ein Club durch die Beheimatung eines Partylabels erfährt, stärkt sein Image und ist ein lukratives Geschäft, von dem beide Seiten profitieren. In den 90er Jahren war das legendäre E-Werk und in der Wilhelmstraße von einer großen Clubdichte umgeben, so war der Tresor Club nur ein Steinwurf entfernt. 

Der damals „beste Club der Welt“ – das E-Werk in der Wilhemlstraße, ca 1994 (Bild Zeitmaschine) https://www.instagram.com/zeitmaschine.analog.rave/

Das E-Werk hatte einen Clubraum in der Größe des Berghains und es galt freitags und samstags eine respektable Menge an Ravern einzulassen, die zusammen mit den DJs für eine epische Stimmung sorgten. Der Veranstalter Dubmissionund auch DJ Westbam konnten dem E-Werk damals zur Seite stehen und die magnetische Wirkung des Clubs nach Außen erhöhen. Ein Tanz- und feierwütiges Publikum, dass nur zu einem geringen Anteil aus Technotouristen*innen bestand, befeuerten den Ruf des E-Werk´s über viele Jahre als besten Club der Welt. DJs wie Woody und Cle legen heute noch auf oder veranstalten selbst Parties (Heideglühen).

Support by PLATTE Store https://www.platte.berlin Musik DASFAX EP_deep sliced cut

Anfang der 00er Jahre, als die Bebauungspläne auf dem Areal zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße (dem heutigen Gebiet rund um die Mercedes Benz Arena und East-Side-Galerie) voran schritten, traten neue Party-und Musiklabels als Veranstalter hervor. Das geräumte Gebiet war die Heimat von Clubs wie dem Ostgut (Vorläufer des Berghain), Casino (heute Suicide Club) und dem Maria. Die baubedingten Schließungen brachte neue Veranstalter hervor, die bis zur Öffnung des Berghains ohne ihre geliebten Clubs das Feiern nicht missen wollten. Beatstreet und Electronic Lovelounge (heute Beate Uwe) veranstalteten ganz nach altebewährter Berliner Untergrund-Art in den wildesten Locations Parties vom Prenzlauer Berg über Moabit bis nach Neukölln. Die After Hours am Sonntag waren die Beliebtesten und die Durchgeknalltesten.

Damals orientierte sich die Szene äußerlich nur zum Teil an schwarzer Kleidung oder dem Fetisch-Stil. Viele wagten den verspielten Umgang mit schrillen Fashionkreationen.

E-Werk Dancefloor ca 1994 „Mehr Oldschool auf Zeitmaschine“ https://www.instagram.com/zeitmaschine.analog.rave/

Die heutige sexuelle Freiheit hatte damals eine noch nicht so vordergründige Rolle und auch Drogen wie GHB oder Ketamin kamen gerade erst so langsam auf die Speisekarte der vom Ecstasy, Speed und Koks verwöhnten Rave-Community. Ein leider sehr negative Entwicklung, die bis in die heutige Zeit  einer noch so geilen Technoparty eine abtörnende Kompetente verleihen kann. Schön zu sehen, dass immer mehr Sober- und Ectatic-Dance-Bewegungen die Clubkultur bereichern. 

Seit den 10ner Jahren, mit dem Boom des Easyjets, wird die Stadt nicht nur mit zusätzlichen Clubbern geflutet, sondern auch einige der heute beliebten Partylabels kamen nach Berlin. Die Generation Z setzte ihre Idee einer nahezu grenzenlosen Selbstverwirklichung auch in Punkt Genderidendität um. In einer Zeit in der sich Trends, Streetstyle, Clubfashion und Parties schneller als jemals zuvor verbreiten liesen, galt es immer neuere, gewagtere Technopartys mit mehr Mut und Gespür für das Besondere zu kreieren. So bleiben die Techno-Partylabel-Veranstalter willkommen, deren Konzept wirklich unter die Haut geht und zu einem Ereignis macht, in dem die Freiheit des Individums und genauso wichtig der gemeinschaftliche Spass im Mittelpunkt stehen.

Techno Rave Party mit Gästen aus dreisig Jahren Techno Kultur https://www.facebook.com/tekknozid.de/

Auch die nachfolgende Generation und das aufgeschlossene internationale Publikum hier in Berlin wird diese Entwicklung hinterfragen, eine die genau die Vision ihrer Wünsche erkennen und ausleben will.

„Wo keine Freiheit ist, wird jede Lust getötet.“

Quelle: Johann Wolfgang von Goethe aus Die Laune des Verliebten 

DASFAX | Techno Berlin | dancer plays records

Video + Sound by DASFAX