Die Glücksformel für das Erlebnis einer Clubnacht bilden neben elektronischen DJ-Sets oder Live Acts die Architektur des Clubs, der Sound des Clubs und der Clubber im Club. Der jeweilige Modestyle der Tänzer*innen spiegelt dabei meist den Dresscode des Clubs wider. So kann schon an der Tür eines Clubs durch eine durchdachte Selektion der Gäste und ein geschultes Auge im Hinblick auf die sogenannte Stylepolice entschieden werden, ob Authentizität oder der Clubstyle der Zukunft Einzug halten oder wegen Unwissenheit versehentlich wieder nach Hause geschickt werden. Ein Club- und Partyveranstalter möchte zu jeder Zeit sichergehen, dass seine Zielgruppe von Followern den Freiraum erleben kann, der über das Image des Clubs offeriert wird.
Styles privat, DJ DASFAX | Fotos Joachim Baldauf
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene oder die Vertretung einer Lebensideologie oder Glaubensrichtung wird in der Regel durch charakteristische Merkmale der Kleidung und des persönlichen Auftretens gekennzeichnet. Wenn man den Blick auf die letzten dreißig Jahre der Berliner Technokultur richtet, zeigt sich eine vielschichtige Entwicklung der Technomode, welche durch individuelle Clubkonzepte, temporäre Modeströmungen und auch durch weltpolitische Ereignisse beeinflusst wurde. Nicht zuletzt haben sich Mode-Revivals der 80er, oder wie heute der 90er, als modische Impulsgeber auf den Style der Clubber*in ausgewirkt.
Styles privat| Foto Joachim Baldauf | Brille Maison Margiela für Mykita
Blicken wir zurück auf die verschiedenen Epochen der Berliner Technolooks und schauen uns einige der auffälligsten Stylings an. Der Stil der ersten Techno-Tänzer*innen und DJs war zunächst noch von den End-80ern geprägt und somit eine Melange aus New Wave, Punk, Popper, Skinhead-Sportswear und auch Fetischstyles. Labels wie Daniel Poole, Stüssy und Pervert waren neben Second-Hand-Adidas angesagte Clubwear.
Wie in England kam auch hier eine sportliche Variante von XL-Kleidung bei Raver*innen gut an. Zum Beispiel hielt der der heute wieder so beliebte Anglerhut – bucket hat – damals über die in Berlin stationierten englischen Soldaten seinen Einzug in den Berliner Clubs. Mit den Jahren entwickelte sich natürlich auch für die Jünger der neu entstandenen Dancefloors für elektronische Tanzmusik eine eigene Clubmode, wie zum Beispiel das legendäre Frankfurter Label Velvet Monkees.
Aber es geht auch anders: Parallel zu allen neu entstandenen Trends setzte DJ Tanith mit seiner Crew Varianten des Camouflage-Looks in die Gegensätzlichkeit, indem er dem eigentlichen Einsatzgebiet dieser Armee-Tarnkleidung, dem Einsatz im Krieg, die hedonistische Freiheit und Toleranz entgegensetzte. Technoclubs bzw. die Vorgänger dieser Clubs boten Freiräume, in denen jeder so sein konnte wie sie oder er sich fühlte.
Grenzgänger im Petticoat | Foto Joachim Baldauf | Brillenschild Bernhard Willhelm für Mykita | Stiefel Harley Davidson, Rock privat
Technoclubs bzw. die Vorgänger dieser Clubs boten Freiräume, in denen Jeder so sein konnte wie sie oder er sich fühlte.
Der Techno-Freigeist spiegelte sich unter anderem in aufwändig hergestellten Science-Fiction-Fantasie-Kostümen wider, die teilweise an Raumfahrtfantasien angelehnt waren. Ähnlich wie in den Comics aus den 60er Jahren, wo das Styling durch Visionen der Zukunft herbeigezeichnet wurde, war Anfang der 90er die neue, elektronische, technische Musik der Zukunft der treibende Impuls.
Ausgeklügelte Stylings, die irgendwie untanzbar schienen, weil sie so abstrakt und zerbrechlich wirkten, verbanden sich letztendlich im Gesamtbild einer Clubnacht betrachtet zu einer groovenden Einheit aus schwitzenden Leibern, Oversize-Sportswear und glänzendem Lack und Leder.
Die Westberliner Schwulenszene rund um den Nollendorfplatz im martialischen Lederdress, schillernden Transvestiten in Ihren überbordenden Verwandlungen von schön bis trashig trieben dem Technostyle der 90er eine gehörige Portion Toleranz und Miteinander ein. Auch die Frisuren waren schreiend bunt oder weißblond, Dreadlocks gestylt, oder manche auch einfach nur in Unisex mit komplett kahl geschorenem Haupt. Die populärsten Vertreter des schon früh aus der Berliner Technoszene entstandenen Partygenres wie der KitKatClub oder weitere etablierte Sexparty-Veranstalter wie Pornceptual, kombinieren – damals wie heute – eine optische Freizügigkeit mit respektvollem sexuellen Umgang untereinander und dem Techno-Sound
Zu Beginn der 2000er wurde das Styling der Technoszene durch ein neues Genre geprägt, dem Electroclash, welcher durch Acts wie Fischerspooner und das Recordlabel von DJ Hell repräsentiert wurde.
DJ Hell war seinerzeit gegenüber seinen DJ Kollegen*innen im Gesamtbild aus Musik, DJ und Mode mutiger, und die Mitte der 2000er war stark geprägt vom Fashionstyle und der Musik des Initiators des Labels International Deejay Gigolos. Er leistete dadurch einen nicht unerheblichen Beitrag zum Style der Clubber*innen, die in temporären Berliner Clubs wie WMF, Cookies, RIO oder Casino ihre zweite Heimat gefunden hatten.
Mitte der 2000er, als sich der Minimal Techno als eine weitere Facette des Techno etablierte, wurde das Beinkleid auf der Tanzfläche langsam schmaler – Skinnyjeans und Vollbart hielten Einzug in die Clubs, bevor es zeitnah dann sehr schnell casual wurde. Einfluss hatte auch die Mode extravaganter Fashiondesigner wie Walter Van Beirendonck oder John Galliano.
Mit der Eröffnung des Berghain 2007 wurde Techno aus Berlin wieder zu einem Statement weltweit. Unter dem wachenden Scan an der Pforte zum nächtlichen Glück galt es zunehmend mehr, dem aufgeschlossenen Berliner Verständnis für Clubfashion und sorgenfreien Feiern eine Heimat zu geben. In Scharen rückten Techno-Jünger aus aller Welt an, die nicht den Merkmalen eines typischen Berliner Techno Heads entsprachen. Wie um auf Nummer sicher zu gehen, Einlass zu erhalten, wurde der Look vor den Clubtüren immer einheitlicher – und es gab nur noch Varianten einer Farbnuance: Schwarz. Dieses Bild wurde durch diverse Blogger*innen auf den verschiedensten Online-Kanälen der Welt vermittelt, und somit galt ein dunkler Style als Schlüssel zum Einlass an der Pforte.
Mit dem Boom Berlins als heimliche Hauptstadt des grenzenlosen Feierns begann auch das Zeitalter neuer Clubs und Partys. About Blank hält offen eine klare sozialkritische Meinung im Konzept fest verankert. Clubs wie Wilde Renate und Club RSO oder unter anderem Veranstalter wie Cocktail d’Amore punkten mit ungezügeltem Zeitgeist in allen Farben und Tönen. Sie alle positionieren sich klar gegen die neu aufkommenden politisch rechten Strömungen in der Gesellschaft und der Regierung.
Zirka 2018 rückte eine neue Generation an die Schwelle des nächtlichen Erlebnisses im Techno Club: Junge Menschen, deren Eltern zur ersten Generation der Technowelle gehörten. Man könnte sagen, in ihnen fließt das Blut der Technoanfänge. Inspiration finden sie meist in der Mode der 90er und 00er Jahre. Das alles liegt mittlerweile schon zwanzig bis dreißig Jahre zurück.
Aktuelle Fashion Designs von Damir Doma, Bernhard Willhelm oder Maison Margiela kombinieren Details der 90er Clubwear mit temporären Modestyles und Materialien. Hinzu kommt seit März dieses Jahres, dass diverse Arten von Schutzmasken und Hygienebestimmungen gegen die Verbreitung des Corona-Virus auch Einfluss auf die Modewelt nehmen. Tatsächlich gehörte zu den markantesten Technostyles der Anfänge das Tragen von Overalls, Schutzmasken (sogar Gasschutzmasken), Leuchtwesten und Handschuhen – damals inspiriert vom Gedanken an das Sein im Cyberspace.
Handschuhe und Mundschutz waren in den 90er Jahren ein beliebter Techno-Style. Mit der Corona Pandemie im Frühjahr 2020 hielt dieser Look Einzug in unser Alltag – weltweit. Bild 2 -Tänzerinnen im E-Werk Berlin 1995 | Foto Tilman Brembs
Covid19-Solo-Rave: 100% legal und sicher. Shirt und Hose Funktionsfaser Nike, Schuhe New Balance, Maske mein Design privat, Brille privat, Armband von Black Style, Kette von DC4 | Foto Joachim Baldauf
Der heutige Ansatz ist der Pandemie untergeordnet und so sind Entwürfe wie der von Production Club die logische Entwicklung von Bekleidung mit integrierten Schutz vor Virenübertragung jeglicher Art.
Das Label aus Los Angeles hat einen Oberkörperanzug entwickelt, der Berührung und Nähe wieder zulässt. Seine bunte Optik greift die wilde Farbgebung der frühen Ravecolors wieder auf und deckt sich mit den Interessen der Millenials, dem Fashioncode des Hypebeast Looks. Berlin bietet hier unterschiedlichste Fashionlabels wie Studio 183,die einem Clubber*in den passenden Dress für die Clubnacht offerieren. Von DJ Dixons Label together we dance alone, wo Oberteile mit futuristischen Botschaften suggeriert werden, über DSTM welche eine edle Ausführung von Underwear im anspruchsvollem Design anbieten, bis hin zum Label Black Style wo ein umfangreiches Sortiment an Fetischbekleidung für den Thrill der zukünftigen Technonächte zu bekommen ist.
Foto Joachim Baldauf
Mit der zukünftigen Wiedereröffnung hoffentlich aller Berliner Techno-Clubs werden sich neue Rave-Stylings unter die herkömmlichen mischen, um sich im Sound zur Nacht wegzutanzen. Die Mixtur umfasst Entwürfe, die sich unter anderem durch den Schutz vor dem Corona-Virus entwickelten, Stylings, die im Bewusstsein für ökonomische, nachhaltige Slowfashion entstanden, und wiederum Kleidung von funktionaler, atmungsaktiver Textur. Alles das wird seinen Platz finden und sich mit den Dresscodes der Fetisch-Szene ergänzen. Das bekannte simple Schwarz vor der Clubtür gehört dann der Pre-Corona fashion an und befindet sich im Stadium der Weiterentwicklung. Ein colorierterer Rave-Look wird uns alle hoffentlich sehr bald beglücken.
DASFAX | Techno Berlin