Frauenpower im Techno

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Seit Jahren produzieren sie Musik, entwickeln Veranstaltungskonzepte, managen die Bookings von DJs, sind im Vorstand der Clubcommission,  betreiben eigene Clubs,  bestimmen die Qualität einer anspruchsvollen Clubnacht, indem sie die Auswahl der Gäste kuratieren, und natürlich legen sie weltweit selber auf. Powerfrauen im Techno sind von Beginn an richtungsweisende Vorbilder, wenn es um die Weiterentwicklung der Gleichberechtigung geht oder darum, wie sich die Position der Frau in der Gesellschaft gegenüber der des Mannes verändert hat.

Mit Ende des neunzehnten Jahrhundert begann das merkliche Voranschreiten der „neuen“ Frau, die ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen ihres Lebens führen wollte. Ein Paukenschlag für das Standing der Frau in der Gesellschaft erfolgte 1918, als das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Doch brauchte es noch ein paar Jahrzehnte mehr, bis endlich keine Unterschrift des Ehemannes mehr bei einem Arbeitsvertrag notwendig war, bis die Frau ihr eigenes Bankkonto eröffnen durfte und mit Einführung der Verhütungspille in den 60er Jahren auch in dieser Hinsicht viel mehr Handlungsspielraum über die eigene Zukunft gewann. Das bedeutet nicht, sich gegen die Ehe oder das Leben mit Familie zu erklären, sondern aus freien Entscheidungen heraus diese wichtigen Phasen im Leben selbst gestalten zu können.

DJ PARAMIDA

Mit diesen neuen Freiheiten konnten die Frauen nun auch ihren persönlichen Talenten und Leidenschaften, einer Ausbildung oder einem Studium nachgehen, ohne sich überall erklären zu müssen oder belächelt zu werden. Heute nicht mehr vorstellbar, aber bis 1958 war es rechtmäßig, dass der eigene Ehemann den Arbeitsvertrag der Ehefrau kündigen konnte, ohne dass es einer Rücksprache mit der Ehefrau bedurfte, sobald er nur den Eindruck hatte, dass seine Frau – aufgrund ihrer Idee, eigenes Geld verdienen zu wollen – nicht mehr ihren Pflichten im Haushalt hinterher kam. Starke weibliche Charaktere klärten die Gesellschaft im letzten Jahrhundert auf, kämpften für das Bewusstsein und den Fortschritt durch die Rolle der Frau in der modernen Zeit, so dass mittlerweile kaum mehr eine Branche existiert, die rein von Männern ausgeübt wird. Im Gegenteil, zwischenzeitlich sind viele Männer auch in „Frauenberufen“ anzutreffen.

Im New York der 70er Jahre, als sich Punkmusik als alternative Musikkultur neben Rockmusik in der Gesellschaft etablierte, betrat eine junge Frau, gebürtig aus Chicago, im wahrsten Sinne die Bühne.

Albumcover Horses
Patti Smith wurde mit Ihrer Band weltweit zum Vorbild in der Frauen-, und Punk Bewegung. 

„Sie gilt als Punkrock-Sängerin der ersten Stunde und Ikone der Frauenbewegung […]. Sie ist eine Aktivistin – mit ihren Büchern, ihren Liedern und ihrem Leben. Sie tritt zeitlebens für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung, Inklusion und für den Klimaschutz ein.“

Quelle, Salzburger Nachrichten

 

Bewegungen, die im West- und Ostberlin der 80er Jahre die ideologischen Grundsteine für eine alternative Lebensweise vieler Frauen und Männer bildeten. Mit dem Fall der Mauer und dem Aufkeimen der jungen Technoszene Anfang der 90er eröffneten sich neue gesellschaftliche, räumliche und menschliche Chancen der inoffiziellen Wiedervereinigung in den Techno-Clubs von Berlin.

Frauen waren von Beginn an zu einem bedeutenden Anteil in wichtigen Schlüsselpositionen als Akteure und Gestalter der neuen Techno-Szene.

weiblicher Berliner Techno DJ
Ellen Allien | mit neuem Label UFO Inc.


Im heutigen Bereich des Berliner Techno sind Frauen wie stets präsent und prägen den Sound der Stadt. So auch Ellen Allien, DJ mit den eigenen Labels BPitch und UFO Inc , oder  Anja Schneider, Radio1 Moderatorin der Sendung Club Room, ebenso DJ und Labelbetreiberin – seit knapp drei Jahrzehnten gehören sie zu den Ikonen der Berliner Clublandschaft. Sie haben die Karrieren von so manchen männlichen Kollegen gesteuert und überdauert. Elektronische Musikkultur in ihrer Vielseitigkeit erzielt immer noch gerade für junge Menschen einen hohen Stellenwert in ihrer kulturellen Entwicklung.

Anja Schneider – Club Room auf Radio 1 | Techno Talk und die neuesten Tracks

Eine wichtige Schlüsselposition für die Förderung von weiblichen DJs stellt das Label Spoon dar – DJ Workspace für Frauen, Transgender und nicht-binäre Personen. Spoon veranstaltete vor der Pandemie eine eigene Partyreihe, bei der ausschließlich weibliche DJs und Produzentinnen das Programm stellten. Dem über die Jahre in Berlin herangereiften Geschäftsmodell im DJ Business, das zu fast 80% männlichen DJs Auftritte generiert, stellt sich Spoon entgegen mit seinem Konzept, Nachwuchskünstlerinnen am DJ-Pult zu unterrichten.

Gelehrt wird in Gruppen- oder Solo-Workshops, beispielsweise im Club Paloma-Bar, oder auch via Online-Mentoring. Die Nachwuchs-DJanes erlernen zum Beispiel die klassische DJ-Technik mit Vinyl als Medium, Ziel ist dabei, DJ-Sets zu arrangieren, indem die technischen Fähigkeiten mit dem eigenen Signature Sound zu einem Hör- und Tanzwerk verschmelzen, das der Crowd positiv in Erinnerung  bleiben sollte. Neben dem Aufbau eines DJ-Sets ist auch der Aufbau eines eigenen Netzwerks das  Essentielle, was SPOON so besonders macht. Bookings im Club- und Festivalbetrieb werden immer noch von einer kommerzorientierten Männerquote dominiert, deshalb ist das Engagement von SPOON enorm wichtig und bringt die Female Pressure immer mehr in das Bewusstsein der Techno-Szene.

netzwerk für frauen im Techno
international agierendes Netzwerk für Künstlerinnen – Female Pressure 

Female Pressure bietet ein internationales Netzwerk an. Es deckt alle wichtigen Parameter der weiblichen Techno-Szene ab. Anregung und Wegweiser für eine emanzipatorische Clubkultur bieten unter anderem Clubs wie Mensch Meier , ://About Blank, Else oder Prince Charles. 

 „Diese Clubs ziehen ein alternatives, teilweise auch politisches Publikum an, das sich mit einem feministisch inspirierten Konzept besser anfreunden kann als andere Clubs.“

Quelle: Vice Magazine

Wie sich stetige Mühen und Eifer in Erfolg umsetzen, zeigt unter anderem die junge Künstlerin  JakoJako (bekannt aus SchneidersLaden – Fachgeschäft für Technische Geräte zur Erstellung elektronischer Musik), eine junge Produzentin, die Ambient und Techno bevorzugt unter dem anspruchsvollen Einsatz von Modularsystemen produziert.

Einer der besten Techno-Mixe der letzten Zeit kommt von Laurel Halo. Dem Berliner Label K7 gelang es für seine beliebte Serie DJ Kicks, die in Berlin lebende amerikanische Künstlerin zu gewinnen. Laurel Halo lieferte einen brachialen wie auch feingeistigen DJ-Mix, der in seiner Ausgewogenheit als Beispiel gelten sollte, wie Vielseitigkeit und Kreativität einen guten Mix voranbringen.

Techno DJ Mix Serie
brachial und feingeistig im DJ Kicks Mix vom Label K7 aus Berlin – Laurel Halo

Und nicht zuletzt Pamela Schobeß, Betreiberin des Clubs Gretchen. Sie setzt sich als Vorstandsmitglied der Clubcommission für die Interessen der Berliner Clubszene ein – dem Verband der Berliner Club-, Festival-, Open-Air-, Party- und Kulturereignisveranstalter*innen.

„Der Verein setzt sich seit über 18 Jahren für die Förderung und nachhaltige Bewahrung seiner kulturellen Sparte ein und sieht sich als Vermittler zu öffentlichen Institutionen, Verbänden und Initiativen aus anderen kulturellen Feldern, sowie der Politik und der Stadtgesellschaft.“ 

Quelle: Webseite Clubkommission

Kulturbotschafterin Danielle de Picciotto ist Teil der Frauenbewegung in der elektronischen Musik und Clubszene Berlins, die Mitte der 90er zum Erstarken gekommen ist. Sie kam 1987 aus New York nach Berlin und arbeitet als interdisziplinäre Musikerin, Künstlerin und Autorin. Sie kooperiert mit internationalen Stationen des Goethe-Instituts sowie mit dem Auswärtigen Amt Berlin. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten Matthias „Dr. Motte“ Roeingh initiierte sie am 1. Juli 1989 die erste Loveparade in Berlin.

In ihrem vierten Buch Die heitere Kunst der Rebellion“ erzählt sie liebevoll und detailliert, wie sie ihre Lebenslust und Visionen im Berlin der Jahre 1987 bis 1994 in verschiedenen Unternehmungen wie Mode, Clubkultur und Livemusik zum Leben erweckte. In einer Zeit der bahnbrechenden Transformationen, die von dort aus die Welt veränderten.

Quelle: Danielle de Picciotto

Melancholisch ist das Lebensgefühl vor und nach dem Mauerfall, mit dem direkten Blick aus dem Wohnzimmer zur damaligen Berliner Mauer. Ihre Geschichte erweckt Bilder nicht nur im Kopf, nein auch im Herzen zum Leben. Wie sie die vergangene Zeit gemeistert hat und welche spannenden Ziele sie in Zukunft verfolgt, schildert uns Danielle de Picciotto im Interview persönlich. Auffällig ist hierbei, dass der Nährboden der Kunst – das freie Denken, das Entwickeln und Ausführen von Ideen, die einer konsequenten Entwicklung folgen und nicht einer machistisch-patriarchalischen Hierarchie die Treue leisten – zu den wichtigen Merkmalen der neuen Frau gehört.

Hallo Danielle, 

in deinem aktuellen Buch Die heitere Kunst der Rebellion erzählst Du nicht nur über eine bahnbrechende Epoche der Berliner Kultur- und Clubgeschichte, Du erzählst auch die Geschichte der Frauen der Technobewegung in Berlin.Was ging Dir durch den Kopf, als Du dich dazu entschlossen hattest, Die heitere Kunst der Rebellion zu schreiben und zu zeichnen?

Danielle: Ich wollte dieses Buch schon sehr lange schreiben. Ich bin grundsätzlich ein detailbesessener Mensch und liebe es, ausführliche Zeichnungen zu interessanten Themen zu skizzieren. Die Zeit um die Wende herum war meiner Meinung nach faszinierend und wegweisend, weil sich so vieles grundlegend verändert hat, nicht nur in der Politik, auch in der Musik, Kunst, Technik oder Mode. Wie extrem die Veränderungen damals waren und wie sehr wir davon geprägt sind, ist, glaube ich, jüngeren Generationen nicht bewusst, und sogar Ältere vergessen es allmählich. So nahm ich mir vor, die vielen kleinen, feinen Details aufzuzeichnen und davon zu erzählen. Ein weiteres mir auch wichtiges Thema ist, dass Humor immer dabei war, auch in der düsteren Avantgarde der 80er. Ich finde, unsere Zeiten werden immer humorloser, weniger frech, und wollte noch mal vorführen, wozu Humor gut ist.

Buch von Danielle de Pichiotto

Als sich Mitte der 90er „Macher“ der Technoszene wie Record-Labels, Veranstalter und Magazinmacher immer stärker der Kommerzialisierung zuwandten, bemerktest Du auch einen negativen Wandel innerhalb der Szene gegenüber Frauen, die im Kosmos von Techno Berlin in unterschiedlichen Bereichen tätig waren. Wie seid Ihr dieser rückschrittlichen Entwicklung entgegengetreten?

Danielle: Es war nicht explizit im Techno-Bereich, dass Frauen diskriminiert wurden, im Gegenteil. Im Techno herrscht eigentlich bis heute eine ziemlich schöne Gleichberechtigung untereinander. Es geht eher um die Industrie. Je erfolgreicher und professioneller etwas wird, desto größer wird der Wettbewerb, und da fallen Frauen bis heute überall schneller unter den Tisch. Sie bekommen weniger Unterstützung, weniger Geld, und werden immer noch nicht gleich wichtig genommen. Entgegentreten kann man dem eigentlich nur, indem man sein eigenes Reich baut, so wie Gudrun Gut oder Ellen Allien, die eigene Plattenfirmen und Vertriebe gründeten. Ansonsten weiter dafür demonstrieren und Menschen darüber aufmerksam machen.

Bist Du gegenwärtig politisch in einer Frauenbewegung aktiv?

Danielle: Ich versuche in jedem Bereich, in dem ich arbeite, andere Frauen zu unterstützen. Ich schreibe eine regelmäßige Interview-Serie über beeindruckende Frauen für das Kaput-Magazin, organisiere Spoken Word Events, Ausstellungen und Konzerte, bei denen ich andere Künstlerinnen vorstelle und versuche, wach gegenüber alltäglicher Diskriminierung zu sein. Leider gibt es da noch sehr viel zu tun, gerade unter Frauen wird noch viel gemobbt, gestichelt, ausgenutzt und getratscht. Wenn sie endlich lernen würden, einander zu unterstützen, so wie es Männer tun, würde alles andere sich sehr viel schneller verändern.

Plattencover Neues album Danielle de Pichiotto
Cover der neuen LP von Danielle de Picciotto – The Element Of Love

Mit deinem neuen Album The Element Of Love, das deine Leidenschaft für Poesie in Verbindung mit experimentellen elektronischen Klanglandschaften und melancholischen Geigenharmonien bringt, sprichst Du gesellschafts- und umweltpolitische Probleme an wie die Spaltung der Gesellschaft, Korruption, die unseren Planeten zerstört – und stellst dem die Hoffnung auf Besserung durch die Errungenschaften der Wissenschaft gegenüber. Bitte erläutere die Zusammenhänge etwas genauer. Welche Gegebenheiten haben Dich dazu inspiriert?

Danielle: Ich hatte das Bedürfnis, mit meinem Spoken Word nicht nur auf den deprimierenden Zustand unserer Welt hinzuweisen, sondern auch auf die aufbauenden und positiven Seiten. Depression bleibt immer passiv, Optimismus gibt Kraft, etwas anzupacken. Ich denke, Künstler/innen haben gerade heute eine riesige Verantwortung, Menschen Kraft und Hoffnung zu spenden. Wir sollten mehr tun als Entertainment. Freche, abenteuerliche Ansätze in die Welt zu werfen, die dann von anderen übernommen und vervollständigt werden können – darum geht es auf meinem neuen Album. Abgesehen davon hatte ich Lust, Musik zu schreiben, die einen zum Träumen bringt. Dafür sind die Instrumentalstücke gedacht. Träumen sollte man niemals vernachlässigen.

Künstlerin im Studio
Multitasking im Studioatelier – Danielle de Picciotto
https://hackedepicciotto.bandcamp.com/

In Bezug auf die Corona-Pandemie lässt sich schwer über eine zukünftige Tour sprechen. Ich möchte es dennoch wagen, diese Frage zu stellen: Sind öffentliche Auftritte in Planung?

Danielle: Im Moment ist alles noch unklar. Wir bekommen zwar schon Angebote, aber bis alle geimpft worden sind, wird davon wohl nicht viel wahr werden.


Was wünschst Du dir für die Zukunft der Berliner Techno-Club- und Kulturszene?


Danielle: Mich interessieren immer neue Impulse. Ich mag weder Nostalgie noch Wiederholungen. Ich bin gespannt, ob es neue Clubs und junge Künstler geben wird, die nach der Pandemie neue Ansätze haben – so wie es nach dem Mauerfall war.

Ich hoffe es!

Vielen Dank, Danielle de Picciotto, für das Interview!

Kay-Uwe Lenk *DASFAX | Techno Berlin