Wenn man in das Universum der Berliner Techno- und House-DJ-Kultur vordringt, kommt man an Oliver Marquardt alias DJ Jauche nicht vorbei. Sein Wunsch, DJ zu werden, keimte bereits Mitte der 80er Jahre, noch in der DDR. Vor der Wende absolvierte DJ Jauche eine Lehre zum Gastronomiefacharbeiter. Was ihm im damaligen Ostteil Berlins viele Vorteile und Kontakte innerhalb der Ausgehkultur dieser Zeit einbrachte. Ich habe DJ Jauche das eine oder andere Mal als Techno-Tourist Anfang der 90er im Walfisch (heute KitKatClub) erlebt, und es waren damals wie heute intensive Erlebnisse von ganz besonderer Art. Der Mix aus verschiedenen Techno- und House-Music-Stilen und Subgenren wie Piano Break Beat, UK und Detroit Techno oder Chicago- oder Acid House formatiert sich zu einem impulsiven Ganzen, das sein Markenzeichen bildet. Zu DJ Jauches Stärken zählt auch der ausgewogene Umgang mit der Technik. Sein Know How über Mixtechniken wie Scratching, Backspinning oder das vehemente Fordern des Crossfaders bringt in seinen Auftritten und DJ-Sets unverkennbare stilistische Mittel zum Ausdruck.
Die darauffolgenden Treffen standen im Zeichen unserer DJ-Aktivität. Ob in Ben de Biels ehemaligem Club Maria, der ehemaligen Fleischmöbelbar in der Oderberger Straße oder auf der „Tanzen gegen Rechts“-Party von TVR im Phonoclub (Prenzlauer Berg). Seine DJ-Sets hinterlassen bleibende Eindrücke bei den Tanzenden und stellen den Nachfolge-DJ aufgrund ihres hohen Energielevels vor eine große Herausforderung. Wer DJ Jauche einmal beim Auflegen auf die Finger und in die Augen geschaut hat, wird vor Verzückung feststellen, dass hier ein Magier im technischen wie auch im kuratorischen Sinn am Werk ist. Sein Spannungsaufbau vollzieht sich mit schnellen Wechseln von Ent- zu Anspannung. Ich nenne diese Technik des sehr abwechslungsreichen Spielens von Schallplatten gerne Zuckerbrot und Peitsche.
Hallo DJ Jauche!* Dein Wunsch, Discjockey zu werden manifestierte sich bereits in den frühen Jahren deiner ostdeutschen Jugend in Berlin. In der DDR gab es ja die Ausbildung zum staatlich geprüften DJ. Als Jugendlicher hegtest Du damals aber die Idee, eher die Ausreise in den Westen zu beantragen, um deiner Berufung als DJ der elektronischen Musik zu folgen. Wie verhielt sich die Situation damals genau?
DJ Jauche: Das lässt sich leider nicht in zwei Sätzen beantworten. Damals in der DDR gab es praktisch eine staatlich geordnete und kontrollierte Jugendkultur. Irgendwie gehöre ich eher zu den Menschen, die sich schwer damit tun, der breiten Masse zu folgen und schaue oftmals erst einmal in die andere Richtung. Das ist so gesehen nichts Besonderes, vielmehr eine Prägung aus der Jugend, eine Folge von Erziehung und die Summe aus den restlichen Erfahrungen im Leben und führt letztendlich unweigerlich in Richtung der Subkulturen. Wie einige andere führte mich mein Weg zur Musik, die damals oftmals half, für sich eine Identifizierung zu finden.
Schon recht früh, ich denke im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren, fing ich an, mich für Dance Music zu interessieren. Ich bekam zur Jugendweihe ein „Double Tape Deck“ und konnte so zusammen mit der Stereoanlage meiner Eltern anfangen, Musik und Geräusche zu mischen und aufzunehmen. Oftmals klebte ich die Kassettenbänder auch zusammen, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Übers Radio konnte ich gut die Entwicklung der Musik verfolgen. Dank Menschen wie Barry Graves oder Monika Dietl bekam ich eine recht gute Vorstellung von dem, was da wohl in der Welt so vorging. Auch wenn meine romantisierte Variante nicht wirklich mit der späteren Realität in Einklang kam.
Die Musik war damals Rap, Funk, Soul, und durch den Film „Beat Street“ hatten wir die Chance in den Ostkinos ein wenig von der Hip Hop-Kultur im fernen Amerika mitzubekommen, und fanden darin einen Weg, neben der formatierten Jugendkultur, uns auszuleben und zu entwickeln. Ich war natürlich begeisterter Breakdancer, hatte mir über Kinder von Diplomaten ein Skateboard besorgt und nahm Woche für Woche fleißig Musik aus dem nächtlichen Westradio auf, um zu mischen und zu tanzen und auch um die musikalischen Entwicklungen mitzubekommen. Mich persönlich hat damals der DJ in dem Film am meisten inspiriert, und vom ersten Sehen des Films an war mir klar, was ich zukünftig machen wollte. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich später eine Freundin hatte, die mich immer von Herzen ausgelacht hat, als ich immer wieder erzählte, dass ich DJ werden will und mir meine ersten Turntables zugelegt hatte. Wenig später kam dann Acid House, Hip House und das „Dance Zeug“ aus UK, die Rave Kids und Tracks, die aus vielen verschiedenen Samples bestanden. Ich fing zu der Zeit an, mit Platten – die ich mir aus dem „Westen“ habe schicken lassen –in drei bis vier Jugendclubs in Ostberlin aufzulegen.
Es war eigentlich absurd, mit zwei von Riemen angetriebenen Plattenspielern von RFT mixen zu wollen, es war eigentlich unmöglich, aber ich bekam so die Chance (oftmals für nur 30 Minuten), diese andere Musik den Leuten vorzuspielen. Es war ein wilder Mix aus den schon erwähnten Genres, und ich bekam hier und da durchaus verstörte Blicke zugeworfen. Als 1989 die Mauer zerbrach, habe ich mir in der ersten Woche zwei Turntables gekauft und den damals entscheidenden Plattenladen „Pinky Records“ in Berlin Steglitz ausfindig gemacht, und verbrachte fortan viele Stunden damit, zu lernen, wie man zwei Schallplatten zusammen mixen kann. Eine kleine Anekdote zum Schluss: Damals gab es gerade die DMC Meisterschafts-Vorauswahlen. Da wurden die DJs mit den besten Mixküren gewählt, das alles basierte auf reinen Hip Hop-Mixen. Ich kann mich leider nicht mehr genau erinnern, wie es dazu kam, aber ich wurde in die Diskothek „Joe an der Hasenheide“ eingeladen, um daran als Erster aus dem „Osten“ teilzunehmen. Ich wurde praktisch mit Ansage Letzter, zudem der Einzige, der House Music aufgelegt hat und so gar nicht mixen konnte. Ein wirklich lebendig gewordener Albtraum, aber auch eine sehr unterhaltsame Erfahrung, allerdings nur im Rückblick, ich bin damals auf der Bühne mehrmals verstorben… Hahaha… Ein für mich durchaus prägendes Erlebnis.
Durch die Wende erfüllte sich dann dein Wunsch, Techno-House-Vinyl aufzulegen, innerhalb kürzester Zeit. Du bist damals auch als Veranstalter aktiv gewesen. Was waren das genau für Partys und wo fanden diese statt?
DJ Jauche: Das waren relativ puristische Partys. Wir haben (mit wir meine ich einige meiner Freunde, die alle diesem neuen Ding verfallen waren), über verschiedene Soundfirmen, möglichst fette „Soundsystems“ gemietet. Eine Handvoll Nebelmaschinen und ein paar Stroboskope, das reichte anfangs völlig. Ein bis zwei Jahre später kamen dann noch „Laserinstallationen“ dazu. Ich habe damals kleinere Partys mit 30 bis 40 Leuten gegeben, eher eine gemischte Gruppe aus Freunden und Freunden von Freunden. Ein Jugendclub in Weißensee oder auch gern mal der Garten am Haus der Eltern, wenn da sturmfrei war. Schnell kam der Gedanke auf, größere „Räume“, einfach ehemalige Kulturhäuser der ehemaligen DDR anzumieten und dort die Partys zu veranstalten.
Ich habe mich damals auch Ruckzuck ein wenig verschuldet, weil von der Materie niemand wirklich Ahnung hatte. Allerdings hält junge Menschen so etwas nicht davon ab, weiter zu machen. Die erste Party, zu der dann auf einmal über 800 Leute kamen, war erst 1992 und hat dann endlich mal keinen Verlust eingespielt. Es gab Partys im „Come In“, eine Location in Adlershof, oder auch gern mal im Kulturhaus eines Straßenbahnhofes oder in leer stehenden bzw. besetzten Häusern. In Berlin, Prenzlauer Berg oder Mitte, haben wir Partys in Kellern oder leeren S-Bahnbögen veranstaltet.
Ich habe damals meinen älteren Bruder Sven Marquardt 1995 für einige Veranstaltungen an die Tür geholt, das waren praktisch seine ersten Erfahrungen damit. Es gab damals (1989 – 1992) ja keine so große Partygemeinde hier in Berlin. Es gab die Leute um „Westbam“ (Low Spirit), die Tekknozid-Partys, das Ufo, den Tresor, den Walfisch und das Planet –und ich habe da halt auch mein „Ding“ gemacht und ich habe das Glück, dass immer noch Leute zu meinen Partys kommen und ich nach acht bis neun Stunden des Auflegens dankbar und geschafft ins Bett fallen kann. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich schon 1991 zusammen mit DJ Zappa das erste Mal in Magdeburg aufgelegt habe. Das war schon eine recht surreale Nacht, aber es gab zu jener Zeit eh sehr viele surreale Momente.
Nach dem großen Techno-Boom, der von Low Spirit, Frontpage und Co. zum Ende der 90er auf die Spitze getrieben wurde, lief die Berliner Techno-Szene ein wenig im Leerlauf. Wie hast Du diese Zeit empfunden?
DJ Jauche: Einen wirklichen Leerlauf habe ich in den letzten 30 Jahren nicht unbedingt erlebt. Die Menschen tanzen schon immer gern, nicht erst seit House und Techno. Ich habe zum ersten Mal 1993/94 gedacht, dass es jetzt so langsam vorbei sein sollte. Diese Gedanken hatte ich dann 1997/98 wieder, und so blöd es klingt, aber auch 2001/02 war ich fest dieser Meinung. Ich habe mich generell nie an bestehenden Strömungen orientiert, und auch habe ich selten erlebt, dass es eine „Szene“ gab, die gemeinsam in eine Richtung ging. Es war früh klar, dass für die Leute aus der ehemaligen BRD andere Vorstellungen galten als für uns Kids aus dem ehemaligen Osten.
Oliver Marquardt alias DJ Jauche, Jack Flash, Robin Masters Orchestra, Machomovers, Rockford Inc.
Das bringen unterschiedliche Prägungen so mit sich. Oftmals waren wir für die Kapitalismus-Erfahreneren so etwas wie das notwendige Übel, um mit Techno Geld zu machen, und spätestens seit 1993 war klar, dass es sich um ein Geschäft handelt. Man erinnere sich an die ganzen Sponsoren auf der Loveparade in jenem Jahr. Seit spätestens damals gab und gibt es zu viele geltungsbedürftige Gestalten, um von einem wirklichen Miteinander sprechen zu können. Ende der Neunziger war alles Schöne und Schreckliche im Techno-elektronischen Universum gesagt. Und da anscheinend niemandem das „Neue Ding“ einzufallen schien, war es dann die „Minimal Welle“, die nach dem Viva-Kommerztrash eigentlich der nächste Tiefpunkt war. Allerdings unerwarteterweise schien sehr viele Leute das zu begeistern und holte „Techno“, als Oberbegriff genommen, aus einem Tief. Damals habe ich mich dann noch bewusster mit House Music beschäftigt, da ich generell finde, dass wir Deutschen zu sehr dem Marschieren als dem Tanzen verfallen, und bei House Music ist man weit weg davon.
Als ich im Sommer 1999 nach Berlin kam, begann ein Wechsel innerhalb der Berliner Clubszene. Auf der einen Seite bekam im Ostgut der puristische Techno eine weitere Spielstätte, auf der anderen Seite wurde es in Berlin Mitte mit Electroclash und Champagnerbars auf den Toiletten wie im Cookies eher posh. Welche Veränderungen brachte für Dich das neue Jahrtausend?
Dj Jauche: Ich bewegte mich generell mittendrin, würde ich sagen. Einerseits veranstaltete ich Partys im damaligen Sage Club, der als ein wenig schicker galt (und lustigerweise die ehemalige Location des „Walfisches“ war, und für mich waren diese Räume Jahre zuvor eine Art zweites Zuhause gewesen. Ich habe vor kurzem im KitKatClub aufgelegt, der sich heute dort befindet), aber auch im Ostgut, welches der komplette Gegensatz dazu war. House Music passte auf einmal gut zum Chic der frisch nach Berlin Gezogenen. Es begann sich eine neue Szenerie zu entwickeln. Immer mehr Veranstalter und DJs kamen nach Berlin und übernahmen die bestehenden Strukturen und veränderten sie natürlich auch. Damals fing es an, dass das Geld in Berlin Einzug hielt und die Stadt sich dadurch zu verändern begann. Ich war Teil eines Studiokollektivs in der Torstraße.
Dort hatte ich über die Jahre wechselnde Nachbarn, wie Jay Haze, Sierra Sam, Shonky, Mijk van Dijk, Monika Kruse, Namito, Tanith, und oft waren Leute aus dem BPitch Control-Umfeld von Ellen Allien bei uns. Damals wurde im Studio neben meinem praktisch der Soundtrack zu Berlin Calling gemischt. Ich hatte Fritz Kalkbrenner für eine Aufnahme im Studio oder auch mal die Jungs von Fettes Brot, ab und an kam „Gentleman“ vorbei, da sein Drummer auch direkt im Studio nebenan arbeitete. Ich habe dort einen Remix für die Ärzte aufgenommen oder, neben einer eigenen Mix-CD-Serie „Extreme Couching“, auch mal eine Mix-CD mit Marusha. So war da eine Menge an verschiedenen Einflüssen und Menschen, die sich gegenseitig inspirierten, und nicht zuletzt haben wir dort bei mir im Studio das bisher letzte Album der Band DAF ( Deutsch Amerikanische Freundschaft ) – „Fünfzehn Neue DAF-Lieder“ – aufgenommen. Es war für die Jahre um die Jahrtausendwende eine noch relativ unbeschwerte und ab und an wilde Zeit auf unserem Studiohof. 2009 wurden wir geräumt, und ein Jahr später stand dort ein neues Hotel.
Waren ein eigenes Label und die Musik-Produktion für dich relevant? Auf welchem Label wurden deine Tracks veröffentlicht, und gibt es neue Produktionen?
DJ Jauche: Ich habe meine erste „Platte“ relativ spät im Jahr 1998 veröffentlicht. Dies hatte ganz einfach den Grund, dass ich nicht produzieren konnte. Ich wusste überhaupt nichts darüber und lehnte es ab, mit Ghost-Produzenten zu arbeiten. Das war damals – und ist es heute noch – sehr verbreitet. Viele der bekanntesten DJs sitzen kopfnickend neben ihren Produzenten und lassen sich Musik „herstellen“. Heute nach etwas über 20 Jahren des Lernprozesses empfinde ich mich selbst als einigermaßen angekommen im Produzieren von Musik.
Die zweite Vinyl war dann auch direkt ein Bootleg eines Songs vonJohn Paul Young namens „Love is in the Air“ und führte zu einigen Verwirrungen, im Laufe derer ich ordentlich abgezockt wurde. Im Besonderen von „Milk and Sugar“ (zwei Herren, die ich, unter uns gesagt, bis heute für würdelose Würste halte). Danach landete ich zum einen bei dem Berliner Label „Sonntag Music“ und veröffentlichte dort mit meinem damaligen DJ-Kollegen Björn Brando unter dem Projektnamen „Machomovers“ vier bis fünf Singles und zwei Alben. Zeitgleich gab es dann die „Extreme Couching“-Serie über DJ-Sets. Ich habe auf verschiedenen Labels Remixe gemacht und dann wieder auf einem eigenen Label, unter weiteren Projektnamen, veröffentlicht. Auf „Baalsaal“ aus Hamburg habe ich eine EP veröffentlicht, kurz darauf auf „Frankman Musik“, „Fiakun“ und „Society 2.0″.
Es folgte ein Album mit der Sängerin Desney Bailey um 2010 herum, und dann legte ich eine Pause ein, da ich fand, dass es viel zu viel Musik gab, die herauskam. Es gab 2013 noch eine EP auf „Acker Dub“, und erst 2017 habe ich angefangen, wieder eigene Musik zu veröffentlichen, und zwar wieder auf eigenem Label namens „Flaneurecordings„. Hier habe ich 2017/18 mein erstes Soloalbum „Nachtboutique – Dirty Nights and Boogie Lights“ herausgebracht. 2019 kam ein zweites Album mit „Desney Bailey“ und ebenfalls 2019 (im Dezember) mein zweites Album „Spreekind“. Mit dem Label bin ich jetzt bei Katalognummer 12 angekommen. Ich achte darauf, dass die Sachen, die ich veröffentlichen kann oder darf, auf Vinyl erscheinen. Schallplatten bleiben mir ein geliebtes und wertvolles Medium.
Nach einem gemeinsamen Gig im Phonoclub auf der TVR-Party „Tanzen gegen Rechts“ sprach ich mit einer Tänzerin aus deiner Crowd. Sie erwähnte dann, dass sie mit dir und einigen Anderen gleich im Anschluss zum nächsten Gig in den Club „Golden Gate“ fahren. Ich dachte so wow, das sind mal treue Fans, und blickte dabei auf die Uhrzeit, und die besagte 3 Uhr morgens. Ein positives Charisma ist für einen guten DJ so wichtig wie die täglichen Vitamine. Du strahlst selbst nach einer über dreißigjährigen Schaffensphase als DJ keine Ermüdungserscheinungen aus. Was ist dein Geheimnis für ein ausgeglichenes Leben?
DJ Jauche: Ich liebe einfach das, was ich mache, und bin dankbar, dass es mir erlaubt ist, dies immer noch zu tun. Ich bin nicht DJ des Ruhmes oder Geldes wegen geworden, sondern schlicht mit dem Ansatz, den Menschen etwas Gutes mitzugeben, mich auszudrücken und dabei mein Bestes zu geben. Ich ziehe aus den Energien langer Nächte viel Positives und gehe morgens zwar oftmals sehr erschöpft, aber zufrieden und dankbar ins Bett. Es gibt so viele zufriedene und dankbare Menschen, die aus sich herauskommen, miteinander tanzen, lachen und sich zusammen erleben –eine Form von Glückseligkeit. Für mich sind meine DJ-Gigs oftmals eine Art Meditation, und das Auflegen an sich ist an eine sehr hohe Konzentration gebunden.
„Es gibt so viele zufriedene und dankbare Menschen, die aus sich herauskommen, miteinander tanzen, lachen und sich zusammen erleben – eine Form von Glückseligkeit.“
Ich verschmelze mit mir und den Leuten im Club, und das Arbeiten mit den Platten und der Musik nähert sich einer kollektiven Perfektion des Einklangs. Dazu mag kommen, dass ich mich oftmals nicht als so wichtig nehme, und seien wir ehrlich, ich mische Musik von anderen Musikern zusammen und wenn alles gut läuft, wird dazu getanzt. Das mag eine schöne Berufung sein, aber ich wäre auch gern Astronaut, Greenpeace-Aktivist oder Nobelpreisträger geworden, aber dafür hat es nicht so ganz gereicht. Zusätzlich ernähre ich mich schon viele, viele Jahre relativ gesund und gehe inzwischen seit über zehn Jahren fünf- bis sechsmal in der Woche joggen, gehe schwimmen und mache ein wenig Yoga ab und an. Ich achte auf viel Ruhe, und auch regelmäßige Saunabesuche erweisen sich auch als recht sinnvoll. Ich bin eher ein zurückgezogener Mensch, halte meinen Freundeskreis seit Jahrzehnten bewusst klein und bin mit meinen Freunden schon sehr lang befreundet.
Ich sprach gerade schon die Veranstaltung „Tanzen gegen Rechts“ von der TanzVersammlung Rosenthaler an. Wenn es nach Parteien wie der AfD ginge, würde man uns den Freiraum Techno-Club und die damit verbundene Erlebnisqualität stark beschneiden wollen. Du hast als Techno-House-DJ der ersten Generation aus Berlin die Werte der Technobewegung faktisch mit formuliert, und ein Bild auf deinem Instagram-Profil drückt das sehr originell aus. Wie schätzt Du generell die Verantwortung ein, die ein DJ in Zeiten von Populismus gegenüber seinen Followern hat und auch offen zeigen sollte?
DJ Jauche: Ich möchte vorab erwähnen, dass ich mich selbst nicht unbedingt als Künstler wahrnehme und ich auch Kunst und Künstler getrennt betrachte, allerdings ein kreativ schaffender Mensch bin. Grundsätzlich sehe ich bei Künstlern/ Kreativen eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben und kreativ arbeiten. Sie haben oftmals einen anderen Blick auf das Geschehen, und sei es nur aus dem Luxus heraus, mehr freie Zeit zur Verfügung zu haben. Zeit, um zu denken, oder der anders geartete Blickwinkel, das anders geführte Leben. Sie haben auch ganz klar die Pflicht und Verantwortung, auf Missstände hinzuweisen. Dies haben meiner Meinung nach alle Menschen, die irgendwie in der Öffentlichkeit agieren. Kritik hält wach, wie ich finde. Ein gesellschaftliches oder politisches Bewusstsein zu haben, gehört auch nicht unbedingt zum Handwerkszeug eines DJs, und die Wenigsten unter ihnen könnte man als Künstler bezeichnen. Da muss man sich nichts vormachen, gerade heutzutage empfindet sich jeder, der in der Lage ist, einen USB-Stick in einen Player zu stecken, als DJ, und darunter sind genauso viele oder wenige bewusste, wache und aufmerksame Menschen wie im Rest der Menschheit enthalten, und Künstler sind dabei die wenigsten. Techno war für mich immer politisch und stand für Offenheit, Respekt und Toleranz. Das sind erst einmal eher links wirkende Attribute und keineswegs in Frage zu stellen.
Für mich ist es keine Frage von Rechts oder Links – ich bin von meinen Eltern humanistisch erzogen, und es ist mein hoffentlich gesunder Menschenverstand, der mir keine andere Option lässt, als mich für die Werte, die unser aller Leben verbessern sollten, stark zu machen. Ich kann nichts mit Fremdenfeindlichkeit anfangen, nichts damit, dass ein Baum weniger Daseinsberechtigung als ein Mensch hätte, oder (finde) auch, dass wir als westliche Welt Verantwortung für einen Haufen geschissener Dinge auf unserem Planeten übernehmen müssen. Ich bin auch kein Freund von „Glaubensgemeinschaften“, obwohl ich verstehen kann, dass die Menschen etwas benötigen, an das sie glauben können. Letztendlich scheint es immer die Angst zu sein, welche Menschen treibt, sie an obskure Weltverschwörungstheorien glauben lässt oder aus Angst vor Fremden zu Nazis werden lässt oder zu heilbringenden Kreuzrittern, die im Namen der Herrn ein Meer von Blut brachten oder, oder, oder…
Ende März hättest Du wieder beim Oldschool-Rave Tekknozid von Wolle XDP an den Turntables gestanden, und ich hörte letztens dein DJ-Set vom Tekknozid-Rave im Dezember, das Du aus verschiedenen elektronischen Genres wie Techno, Trance, Piano Breakbeat und House Music gemixt hast. Chapeau! Welche deiner Gigs empfindest Du ganz persönlich als deine Höhepunkte?
DJ Jauche: Der Rave im März ist leider dem Virus zum Opfer gefallen. Ich hatte mich darauf gefreut, da ich diesmal ein vierstündiges Opening Set hätte spielen können. Es gibt zu viele persönliche Höhepunkte, die ich erwähnen könnte, da erwähne ich lieber zwei, die unterhaltsam und peinlich waren. Beide trugen sich im „Fernsehen“ zu und beide waren live ausgestrahlt. Zum einen war ich als DJ geladen, und zwischendrin kam ein Auftritt von Jürgen Drews. Ich wurde gebeten, bei seinem Auftritt den DJ zu mimen, was ich widerwillig, aber leicht angeschwippst tat. Herr Drews sprang und sang, wirbelte zu mir herum und strahlte mich singend an, der Chorus setzte ein, und er hielt mir das Mikro vor die Nase, und ich gab ein überraschtes grunzendes Geräusch von mir. Trotz Playback war natürlich das Gesangsmikrofon offen, so dass mein verwirrtes Geräusch über die Sendemasten strahlte…
Ein früherer Fernsehauftritt war ähnlich bescheuert. Wie haben damals zu zweit mit vier Turntables aufgelegt und durften dies in einer Musiksendung erklären und vorführen. Wir kamen damals direkt aus dem Klub, hatten die ganze Nacht aufgelegt und rollten mit einem Convoy von fünf Autos beim Sender an. Ich könnte mich nicht erinnern, dass irgendwer auch nur im Ansatz nüchtern gewesen wäre (abgesehen vom Fahrer natürlich, glaube ich) . Es gab zwei komplette Probedurchläufe der Show, bis es zur Live-Sendung kam. Als wir dann an der Reihe waren, kam einer der Moderatoren, führte mit uns das Interview und forderte uns auf, dann doch mal zu zeigen, was wir da machen würden. Wir fingen emsig an zu mixen, aber es kam kein Sound, und es gab wieder einmal in meinem Leben irritierte Blicke um mich herum. Wie auch immer, nach ca. 30 Sekunden wurde zum nächsten „Beitrag“ hinüber gerettet. Bis heute ist es mir ein Rätsel, was damals nicht funktioniert hat, wir waren zumindest nicht Schuld an diesem Live-Sendungs-Fiasko, hoffe ich. Haha.
Welchen guten Ratschlag gibst Du der zukünftigen DJ- / Produzenten-Generation mit auf den Weg?
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“,
würde ich hier zitieren wollen, und die fünf Minuten Ruhm taugen nicht halb so viel, wie sie versprechen zu scheinen. Mehr Ratschlag könnte ich nicht geben.
Die Corona-Krise schafft positive wie negative Perspektiven für die Clubkultur Berlins. Auf der einen Seite entstehen Initiativen wie zum Beispiel die der Clubcommission und des RCC (Reclaim Club Culture), welche die lokale Club- / DJ- / Techno-Szene unterstützen und einen stärkeren Zusammenhalt dadurch ermöglichen. Auf der anderen Seite wird der touristische Strom nach Berlin (und damit auch der in die Clubs) erst mal nicht so zahlreich fließen. Das wird die Berliner Techno-Clubs nach der langen Schließung vor eine neue Herausforderung stellen. Welche Chancen siehst Du für die elektronische Musikkultur Berlins?
DJ Jauche: Die derzeitige Situation wird natürlich Veränderungen mit sich bringen. Ob daraus eine Chance erwächst, werden wir dann sehen. Wir Menschen handeln ja oft doch dümmer als man zu glauben vermag. Einen wirklichen Zusammenhalt habe ich in der Berliner Szene in über 30 Jahren nicht wirklich kennengelernt. Es ging und geht immer um die Interessenwahrung bestimmter Gruppierungen. Zusammenhalt habe ich erlebt, als es den Begriff einer „Szene“ noch nicht gab, zudem denke ich oftmals, dass es in der „Rockwelt“ mehr Zusammenhalt und weniger Ego gibt als im Nachtlebenszirkus der elektronischen Musik. Nimmt man einmal die Situation mit der GEMA. Als es damals darum ging, dass die Clubs höhere Beiträge zahlen sollen, gingen alle gemeinsam auf die Straße, um dagegen zu demonstrieren. Als es einige Zeit später darum ging, dass die GEMA von den DJs zusätzliche Abgaben einfordern wollte, ging niemand auf die Straße, um diesmal gemeinsam zu demonstrieren. Derlei Beispiele gäbe es unzählige, und vermutlich ist dies anderenorts nicht groß anders. Ich denke, dass Clubs hier in Berlin generell mehr auf Berliner Aktivisten zurückgreifen sollten. Dadurch, dass elektronische Musik zu so einem großen Geschäft geworden ist, hat sich das Ganze zu einem Skelett seiner selbst entwickelt, allerdings mit Clownsnase und Konfetti auf den Rippen.
Seine Fans folgen ihm treu zu seinen Gigs , wie etwa in den Globus (Tresor), Kitkat Club oder Griessmuehle
Diese andauernde Goldgräberstimmung lockt natürlich Unmengen an Goldgräbern, und wie könnte so etwas gut für eine wie auch immer geartete Form von Kultur sein. Sollte Fortuna es gut meinen, könnte es sein, dass sich hier und da einige Dinge gesundschrumpfen und der Blick auf das Wesentliche eine realistische Chance bekommt. Doch ob das für die gesamte Gesellschaft gilt und ob diese die gegebenen Chancen nutzen kann, vermag ich leider zu bezweifeln. Dies sollte wiederum für eine Subkultur erst recht als Möglichkeit zur Entwicklung dienen, nur ist die derzeitige Berliner Clublandschaft weit entfernt davon. Sicherlich gibt es hier und da immer die kleinen Ausnahmen, und diese lassen einem den ruhigen Augenblick der Hoffnung. Die Berliner Clubcommission ist mir persönlich bis heute ein Rätsel, dessen Lösung bisher nicht in meine Interessengebiete eingedrungen ist. Grundsätzlich ist das sicherlich eine aus den Jahren entstandene Konsequenz, um den Marktwert der Clubs im Berliner Bruttosozialprodukt zu schützen, zu mehren und zu unterstützen. Ich finde es gut, dass hier Menschen versuchen, für andere einzustehen und zu helfen. Ich hatte mit der Clubcommission bisher keinen Kontakt, habe allerdings auch keinen Club. Ich habe mir jetzt auch einmal die „Fibel“ des RCC durchgelesen und habe sehr viele Verhaltensregeln und Regeln gelesen.
Hinweise, wie man sich verhalten soll und darf, welchem Sinn und Zweck dies dient und so weiter und sofort. Ich empfand das alles als sehr interessant und war sogar etwas überrascht, wie viel reguliert wird, um Freiraum zu sein. Es werden auch Menschen ausgegrenzt, weil sie politisch anders ticken. Ich finde es immer besser, zu integrieren, um Denkveränderungen bei Menschen zu bewirken, allerdings sehen andere Menschen dies wiederum anders, und so müssen wir sehen, miteinander friedlich und gesund leben zu können. Weißt du, ich habe erlebt, wie das Erleben im Club, auf dem Dancefloor, das Miteinander, die Menschen zum Besseren verändert hat. Die Drogen und der Alkohol haben dies nicht unbedingt in allen Fällen in den Menschen hervorgerufen. Aber die Musik und ihr Erleben immer und immer wieder. Die Freiheit bewegt sich zwischen den Tönen, in unserer aller Köpfe – auch die Freiheit, die wir den anderen zugestehen. Was mich einst an House/Techno begeistert hat, war, wie diese Musik Menschen zusammenbringen konnte. Ich erlebte Nächte, da stand der Nazi neben dem Punk, die Nutten zwischen Skinheads, die junge Sekretärin tanzte mit schwulen Kerlen, die Bar schmiss ́ne Runde Wodka für alle über den Tresen, oder die Türsteher tranken noch einen kurzen mit demjenigen, den sie dann vor die Tür brachten, weil er meinetwegen zu betrunken war oder, oder, oder. Ich traf alle möglichen Menschen, mit den verschiedensten Ansätzen zum Leben an sich. Es war nicht von Bedeutung, ob du hetero, queer, monogam, polygam, Katzennarr, Skinhead, ob du 16 oder 80 Jahre warst oder einfach stinknormal.
Es ging innerhalb unserer Kultur um das Einander Verstehen , sich und die anderen zu akzeptieren, und das Miteinander, das Sich Gegenseitig Beeinflussen und Wachsen und so weiter und so fort… Ich habe in all den Jahren sehr wenig Gewalt in den Clubs erlebt und, gemessen an all den Jahren, wenig Sexismus. Wir haben letztendlich alle das gleiche Recht auf Leben, und ich glaube auch, dass wir die Verantwortung haben, anderen Menschen Neues und Anderes zu zeigen. Ich meine, wenn man als Hetero in einen House-Club geht und sich dann erstaunt wundert, dass neben mir zwei Kerle an der Bar vögeln, dann habe ich zuerst einmal etwas Neues gesehen, und wenn es einem dann meinetwegen optisch nicht zusagt, stellt man sich optional halt zwei Meter weiter, und Thema erledigt. Freiraum ist immer der, den wir uns und den Anderen erlauben und ohne diesen käme es eher selten zu positiven Veränderungen. Ich habe viele Menschen kennengelernt, denen genau das zu Gute kam.
„Ab und an beschleicht mich das Gefühl, dass dieser oftmals zitierte Freiraum im Club, so wie er eigentlich sein sollte, gar nicht mehr existiert.“
Ich sehe diese Dinge möglicherweise so, weil ich Zeit meines Lebens Ausgrenzungen kennengelernt habe. Das fing früh in der Schulzeit an, da wurde ich angefeindet, weil meine Familie Verwandte im „Westen“ der BRD hatte. Da wurde man schon einmal von den Kindern der Stasi und Genossenkindern über den Schulhof gejagt, bis man sich gezwungenermaßen zu Wehr setzte. Später in meiner Ausbildung waren es dann rot gefärbte Haare oder das Dinge anders Sehen (anders als der Staat es vermitteln wollte), was dazu führte, dass mir der Abschluss meiner Ausbildung ordentlich vermiest wurde. Nach der „Wende“, dem Mauerfall, war man als in der DDR Geborener über viele Jahre so etwas wie ein „Bürger zweiter Klasse“ und nur ein „Ossi“, und so zieht sich bis heute das Thema Ausgrenzung durch mein Leben. Ganz klar haben wir als Gemeinschaft und Gesellschaft darauf zu achten, dass Extremisten, Fanatiker oder Radikale jeglicher Art, ob nun politisch oder glaubenstechnisch motiviert, es nicht schaffen, uns als moderne und offene Gesellschaft zu behindern, einzuschüchtern oder gar zu zerstören.
Derzeit haben wir dann noch „United We Stream“ als clubbiges Miteinander. Ich habe über verschiedene Clubs, in denen ich auflege, versucht mich dort einzubringen. Meine Bookerin hat einen direkten Kontakt aufgenommen und … es kam nicht dazu, dass ich irgendwo – als Jemand, der hier in Berlin schon so lange Partys veranstaltet, viel auflegt, Musik veröffentlicht und das Ganze seit Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre mit angestoßen hat – seinen Anteil leisten konnte. Nicht, dass es mich verwundert hätte, aber da ich immer positiv denkend durch die Gegend schlendere, wollte ich es zumindest versucht haben. Da stehen wir als Szene endlich einmal zusammen.
Der Techno-Look Anfang der 90er, wie ihn Altern 8 aus UK publiziert haben, erinnert an das heutige Alltagsszenario zum Schutz vor dem Coronavirus. Wie gestaltet sich dein Alltag in Zeiten der Corona-Krise, hast Du mehr Zeit, Musik zu produzieren? Was passiert gerade mit deiner Kreativität?
DJ Jauche: Mein Alltag ist in groben Zügen gleich strukturiert. Ich erwache, lasse die Gedanken losziehen, und wenig später finde ich mich beim Abendessen wieder. Persönlich empfinde ich mich selbst dieser Tage als relativ faul, allerdings teilt meine Freundin diese Meinung eher nicht. Gerade in der vergangenen Woche hat sie mich als „Workaholic“ betitelt. So schlimm ist es nicht, ich arbeite relativ viel und verpasse ab und an das Abschalten des Arbeitsmodus, gönne mir allerdings viele Pausen. Meine Kreativität leidet nicht sonderlich unter dem Coronavirus.
Möchtest Du abschließend zum Thema Corona noch ein paar persönliche Worte an die Leser richten?
Dj Jauche: Nicht wirklich, um ehrlich zu sein, damit wird man derzeit mehr als ausreichend versorgt. Die derzeitige Erfahrung, die wir machen, kann zwar helfen, dass Menschen anfangen, bewusster zu leben – ob und wie viele, wird sich zeigen.
Vielen Dank DJ Jauche für dein umfangreiches Statement!
*Das Interview mit Oliver Marquardt alias DJ Jauche wurde online geführt.